Die alte Frau stand breitbeinig in ihrem Garten, in der einen Hand eine Gartenschere haltend und mit der anderen strich sie sich immer wieder verlegen eine Strähne ihres dichten, grauen Haares aus dem Gesicht. Wieder einmal war es Tatezi, die der Anlass für ein Gespräch war. Die Frau lobte das schöne Fell meiner Hündin und darauf gab ein Wort das andere. Sie muss sehr einsam sein, in dem Haus an den Klippen, hat auch keine Freunde die sie besuchen und kann den Garten nicht mehr verlassen. „Wissen sie, warum ich mit der Gartenschere den Rasen schneide? – Damit ich etwas zu tun habe und nicht immer an den Tod denken muss.“ Was soll man darauf antworten? Ich musste allerdings gar nichts sagen, denn sie war so froh, wieder einmal jemanden zu haben der ihr zuhörte, dass sie sofort weiter sprach. Ja, sie sei jetzt schon 91 Jahre alt, habe bis vor drei Jahren in Paris gelebt und sei nach einer grossen Operation von ihren Söhnen in dieses Haus gebracht worden. Vermutlich weil einer ihrer zwei Söhne in St. Brieuc wohnt, was doch ein paar hundert Kilometer näher liegt als Paris. Er bringt ihr einmal in der Woche Lebensmittel.
Ihre Augen, die zu Beginn unseres Gespräches den erloschenen Ausdruck hatten, den man oft bei einsamen Menschen sieht, nahmen zunehmend an Glanz an, je weiter zurück die Erlebnisse lagen, von denen sie mir berichtete. Ja, sie könne verstehen, dass sich ihre Söhne, besonders der eine, nicht viel um sie kümmerten, sie sei vermutlich auch nicht immer die perfekte Mutter gewesen. „Ich habe nie getötet und nicht gestohlen, aber sonst halt schon allerhand gemacht. Es hatte Männer rechts und links. Schöne Männer, oh la, la.“ Jetzt strahlten ihre Augen bei der Erinnerung und ihr ganzes Gesicht wurde durch das Schmunzeln um Jahre jünger. Als sie mir von ihrem Bikini erzählt hat, bewegte sie die Hüften keck dazu und ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie sie die Männer bezirzt hatte. Ein besonderer Höhepunkt in ihrem Leben muss für sie gewesen sein, als sie Brigitte Bardot kennen gelernt hat. Auch ein bekannter Schauspieler, dessen Name ich vergessen habe, war Kunde in dem Autohaus, in dem sie damals gearbeitet hat.
Irgendwann mussten wir weiter, die alte Frau in ihrer Einsamkeit zurücklassend. Ihr Schicksal hat mich bewegt, doch weiss ich nicht, ob ich Mitleid mit ihr haben muss, weil sie jetzt einsam ist, oder ob ich mich mit ihr über ihr reiches Leben freuen soll. Auf unseren täglichen Spaziergängen bleiben wir immer kurz vor ihrem Haus stehen, doch sie ist nicht zu sehen.
PS: Bin nächste Woche ohne PC auf Entdeckungsreise durch die Bretagne.