Eigentlich mache ich mir nichts aus Weihnachten, und doch kann ich es nicht ableugnen, dass mich in der Adventszeit eine gewisse Gefühlsduselei überkommt. Deshalb war ich heute auf dem Grab meiner Eltern und habe ihnen eine Christrose gebracht, die Blume, die meine Mutter so sehr liebte. Überhaupt muss ich in diesen Tagen oft an sie denken. Und ich glaube, auch Tatezi hat sie diese Woche vermisst, oder zumindest sich ihrer erinnert. Es war auf einem Spaziergang, als uns eine alte Frau mit der Gehhilfe Rollator begegnete, ähnlich derer, die meiner Mutter zuletzt geholfen hat das Gleichgewicht zu halten. Tatezi hat die Frau gesehen und wollte sofort schwanzwedeln zu ihr hinrennen, wie sie es sonst bei Fremden nie tut. Ob sie sich wirklich an meine Mutter erinnert hat?
Wenn ich schon den weiten Weg zum Friedhof gefahren bin, habe ich die Gelegenheit genutzt, noch eine Grosstante zu besuchen. Ich glaube, ich habe sie in den letzten 30 Jahren nur dreimal gesehen – an zwei Beerdigungen und an einer Hochzeit. Mir kam es vor, als sei die Zeit beinahe spurlos an ihr vorübergegangen. 87 Jahre alt ist Tante Alice und immer noch topfit, sowohl im Kopf als auch körperlich. Sie geht jede Woche mit einem kleinen Freundeskreis wandern, zwar seit ein paar wenigen Jahren nicht mehr vier bis fünf Stunden, wie sie mir erzählte, aber immerhin noch gute zwei Stunden. Und von ihrer geistigen Fitness zeugt ihr lebhaftes Interesse am Weltgeschehen, das sie mir während unserem Mittagessen bewies. Nicht ein einziges Wort des Klagens oder Jammerns. So muss alt werden schön sein und ich bin froh, habe ich sie besucht und mich an ihrer Gesellschaft freuen dürfen.